Das Ende der Email?

Thierry Breton, CEO des französischen IT-Dienstleistungskonzerns Atos, hat wieder einen nachgelegt. Bereits im Februar dieses Jahres hatte er die Umsetzung seiner Zero Mail Policy im eigenen Unternehmen angekündigt. In einem Interview mit dem britischen Daily Telegraph kündigte der 56-Jährige die Umstellung bis August 2013 an.

Atos: Ihr Outsourcing-Partner?

Warum die Worte des ehemaligen französischen Finanzministers so viel Widerhall finden, liegt daran, dass er als Chef des Atos-Konzerns einer IT-Service-Firma mit 74.000 Beschäftigten in 42 Ländern vorsteht. Als Outsourcing-Partner von namhaften Konzernen – unter anderem ist Atos ein offizieller IT-Partner der Olympischen Spiele – und einem Jahresumsatz von 8,6 Mrd. Euro (2010) sollte eine ausgerufene Kampagne also von Bedeutung sein. Worum geht es dabei?

Mail, der neue Umweltverschmutzer

In seinem Interview beklagt Breton die Unproduktivität des Systems Email. 90 Prozent aller Nachrichten seien eine einzige Zeitverschwendung, nur ein sehr geringer Anteil sei als wichtig einzustufen. Darunter leide die Produktivität der Mitarbeiter jedes Unternehmens, da diese immer wieder durch Unterbrechungen beim Maileingang ihre eigentliche Aufgabe nicht konzentriert erledigen könnten. Außerdem sei es „nicht normal, dass einige unserer Kollegen Stunden am Abend mit deren Emails verbringen“. Back on the Ball lautet die Devise.

IM ist meine Rettung

Dabei beruft sich Breton unter anderem auf eine Studie von ORSE, nach der es 64 Sekunden nach dem Lesen einer Mail dauert, bis die Aufmerksamkeit des Lesers wieder der ursprünglichen Tätigkeit zuteilwird. „Zero E-Mail“ soll zukünftig diese Störungen verhindern und damit die wichtigen Dinge wieder in den Mittelpunkt der Arbeit stellen. Breton vergleicht die aktuelle Mailnutzung sogar mit der industriellen Umweltverschmutzung und sieht seine Kampagne ähnlich der ökologischen Bewegung. Stolze Ansage.

Social Media als Alternative

Die Kommunikation im Unternehmen will Breton auf neue Füße stellen. „Wenn Leute mit mir sprechen wollen, können sie zu mir kommen, mich anrufen oder eine Textnachricht senden“, so die neue alte Forderung. Was daran wirklich neu sein soll bleibt fraglich. Zweifelhaft bleibt dabei eher, wie der Chef da selbst noch on the ball bleiben und seinen Terminplan im Griff behalten will.
Als neue Form der Kommunikation soll neben persönlichen Gesprächen und Telefonaten vor allem die neuen „sozialen“ Medien stärker – und auf Unternehmensansprüche angepasst – eingesetzt werden. In der neuen „Smart Organization“ bringt der Einsatz von Facebook, Twitter und vor allem Instant Messaging den entscheidenden Vorteil, wenn es nach Breton geht. Damit würden wichtige Ideen und Diskussionen besser geteilt sowie nachverfolgt und als Konsequenz Unternehmensprozesse effizienter gestaltet werden.

Vision oder PR-Kampagne

Als großer Outsourcing-Partner verdient der Atos-Konzern viel Geld mit IT-Projekten. Dazu gehört naturgemäß auch die Einführung und Umsetzung neuester Technologien in der Unternehmenskommunikation. Böse Zungen sehen die Zero-Mail-Kampagne als (wiederholten) Versuch neue Geschäftsfelder zu promoten. Wir wollen an dieser Stelle aber die Argumente näher betrachten, denn viele davon sind Realität im heutigen Firmenalltag.

Zurück zur Wählscheibe

Zu viele Meetings, zu wenig Gespräche – so möchte ich die aktuelle Problematik beschreiben. Die Kommunikation „von Mensch zu Mensch“ ist mit Sicherheit in allen Unternehmen verbesserungswürdig. Alle Prozesse und Entwicklungen sind davon abhängig, egal auf welchem Gebiet der Unternehmensfokus liegt. Ob die Abschaffung der Mailkommunikation hier eine Verbesserung bringt ist fraglich.

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Ein Telefonat kann viele Mails ersetzen, richtig, aber nicht in jedem Fall. In vielen Fällen ist es genau umgekehrt. Ein Blick in ein angehängtes PDF-Dokument oder auf den angeführten Link kann auch unzählige Telefonate obsolet machen. Es gilt also, für jede Anforderung das richtige Medium zu finden. Darin liegt die Schwierigkeit.

Social Media – der Alleskönner?

Bretons Vorschlag, zukünftig doch notwendige Interaktionen auf Facebook und Co. umzustellen, könnte wohl von einem Teenie stammen. Einfache Fragen: wie groß ist der Anteil an „unnützen“ Nachrichten in diesen Medien? Ist ein unerwünschter Werbeanruf weniger störend als Spammails in der Inbox? Verführt die Möglichkeit zur „Schnell-mal-Nachricht“ beim Instant Messaging nicht vielmehr zu unwichtigen und zuwenig überdachten Meldungen?

Was, wozu und wie?

Das von Atos verkündete Programm „Ensuring Well Being at Work“ hat mit Sicherheit seine Existenzberechtigung und sollte in allen Unternehmen die Grundlage von Diskussionen zur Verbesserung der Arbeitsumgebung sein. Effizienter Arbeiten und dabei wohl(er) fühlen – klingt nach einem schlechten Slogan für den x-ten Ratgeber im Buchhandel oder bei Beraterseminaren. Nichts desto trotz ist es eine realistische Herausforderung.
Alle von Breton aufgeführten Kommunikationsarten haben Vor- und Nachteile und damit eine Existenzberechtigung. Instant Messaging und Twitter sind heute Bestandteil eines effizienten Austauschs – auch im Business-Bereich. Es geht aber nicht darum, das eine Medium durch das andere zu ersetzen, sondern auf individueller Basis den optimalen Einsatz jedes einzelnen zu prüfen.
„Emails können das gesprochene Wort nicht ersetzen“ meint Breton. Absolut richtig. Doch diesen Fehler machen Manager und Vorgesetzte aus Unverstand, nicht weil ihnen die elektronische Nachricht als geeigneter erscheint. Vielleicht kann die Kampagne von Atos dazu beitragen, dass Verantwortliche in Unternehmen alle verfügbaren Medien auf deren Effizienz und Tauglichkeit zu prüfen. Dann hätten die lauten Worte etwas Nützliches beigetragen. 64-Sekunden-Optimierungen haben noch nie funktioniert oder etwas gebracht.
Aber keine Angst. Auch auf der Homepage von Atos gibt es noch eine Kontaktseite mit Mailadresse.


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2 Antworten

  1. 17. Januar 2013

    […] trudeln neue E-Mails ein. Die »Zero Inbox« ist nicht jedermanns Sache und nicht selten wird Outlook als privates Archiv und Dokumentenablage […]

  2. 12. Januar 2015

    […] Nutzung von E-Mail-Software ist im geschäftlichen Umfeld nicht wegzudenken. Daran ändern auch anderslautende Meldungen nichts. Bei privaten Nutzern feiern Chat-Apps ständig neue Rekordzahlen. Eine Annäherung macht […]

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