RIM ist tot – Es lebe Blackberry?
Es war der große Tag des „Mister Heins“. Der CEO des angeschlagenen RIM-Konzerns hatte vor zwei Jahren das Comeback der Marke Blackberry versprochen und sollte jetzt liefern. Acht Großstädte hatte er für den entscheidenden Event ausgesucht und stellte uns zwei neue Modelle vor.
Viel aufzuholen
Die Erwartungen an den „Launch“ waren groß. Schließlich ging es um nichts anderes als die Rückkehr in den globalen Mobiltelefonmarkt. Und wie schwer dies ist, verdeutlicht Microsoft mit seinem Windows Phone.
Die Alles-oder-Nichts-Strategie des ehemaligen Marktführers verdeutlichte Heins mit der Ankündigung, dass seine Firma zukünftig den Namen RIM (Research in Motion) durch „Blackberry“ ersetzen wird. RIM ist Vergangenheit. Ob Blackberry eine Zukunft hat?
Die Vergangenheit lässt daran zweifeln. Keine Produktpflege (sowohl Hard- wie Software) über Jahre haben das Vertrauen selbst der eigenen Anhängerschaft stark strapaziert. Nicht nur Alicia Keys – im Rahmen der Präsentation als neuer „Global Creative Director“ vorgestellt – war nach Jahren treuer Anwendung zur Konkurrenz gewechselt. Und der letzte Wurf, das Tablet „Playbook“, ließ den letzten Hoffnungsschimmer verblassen. Ein Rohrkrepierer direkt aus dem RIM-Lab.
Die Frage der Ausrichtung
Die Vorgaben des Neustarts für die aktuellen Modelle waren aber nicht gerade einfach. Trotz des Stillstands der letzten Monate setzt Apples iPhone nach wie die Messlatte in Sachen Smartphone. Daneben feuern Samsung und Co. wöchentlich neue Android-Modelle in die Verkaufsregale, neue Features inklusive.
Blackberry ist seit jeher ein Hersteller mit Business-Kunden im Fokus. Dort liegen auch nach Jahren geringer Weiterentwicklung die Stärken der Kanadier. In Sachen Sicherheit und Gerätemanagement sind sie noch immer das Maß aller Dinge.
Der Verkauf von einigen Millionen Geräten gelingt aber nicht ohne den Zuschlag der privaten Nutzer. Und diese Klientel – Kiddies lassen grüßen – setzt andere Prioritäten. „Cool“ ist das Merkmal für riesige Umsatzzahlen!
CEO Heins erläuterte die Brisanz der Entscheidung für den Konzern vor zwei Jahren: Adaption eines fremden Betriebssystems auf eigener Hardware oder die vollständige Neuentwicklung eines eigenen OS. Die Wahl fiel auf Variante 2 – und diese Entscheidung war richtig, wie die Vorführung der aktuellen Modelle bewies.
Die Hardware des neuen Z10
Datenvergleiche im Hardwarebereich sind langweilig! Warum? Sie sind größtenteils nichtssagend! Einzig interessanter Punkt in diesem Fall: Hat RIM hier mit der Konkurrenz gleichgezogen? Die wichtigsten Daten des neuen Z10-Modells:
- 1,5 GHz-Prozessor
- 2 GB Hauptspeicher
- 1280 x 768 Pixel Auflösung
- 4,2-Zoll Display (zum Vergleich: das iPhone 5 bringt es auf 4 Zoll, das Galaxy S III auf 4,8)
- Gewicht: 135 Gramm (etwas schwerer als die Konkurrenz)
- 16 GB Speicher, erweiterbar mittels Micro-SD-Slot
- Anschlüsse: Micro-USB und Micro-HDMI (!)
Fazit: Hausaufgaben gemacht. Keine Beanstandungen. Über die Akkulaufzeit wird noch spekuliert. Im Lauf der Live-Präsentation kamen hier einige Fragen beim Zusehen auf. Der Balken, der Balken…
Das neue Bedienkonzept
„Getting Things Done“ – der von David Allen geliehene Slogan – steht im Zentrum des neuen Blackberry. Damit bleibt RIM seiner Ausrichtung auf den arbeitsfokussierten Anwender treu. Arbeit muss aber nicht „Business“ sein. GTD-Anwender wissen: es gibt keinen Unterschied. Auch private Dinge wollen erledigt werden.
„Hub“, „Flow“ und „Peek“ sind die zentralen Begriffe im neuen Blackberry-Universum. Der „Hub“ ist die neue Schaltzentrale.
Ein „Hub“, ein Daumen
Das Konzept ist nicht neu, die Umsetzung auf einem Smartphone sehr wohl. Version 10 des Blackberry-OS stellt die Arbeit in den Mittelpunkt, nicht Apps. Der „Hub“ führt übersichtlich (?) alle Informationen an einer Stelle zusammen. Egal ob Nachrichten via E-Mail, über Twitter oder Facebook eingehen. Sind diese an meine Person adressiert (nicht den ganzen Social-Stream), so finde ich diese in meinem „Hub“.
Inhalt statt Apps
Aus dieser Nachrichtenzentrale kann mit einem Wisch zu einer personenbezogenen Ansicht (alle Termine, Kontakte, Notizen, etc., die diesen einen Kontakt betreffen) gewechselt werden – uns sei es auch nur, um kurz etwas nachzusehen. Kein Wechseln der App, kein Home-Button, kein Starten und Beenden. Und alles noch mit Multi-Tasking.
Der gesamte Hub mit wird einem Finger, üblicherweise dem Daumen, bedient. Alle Aktivitäten finden an einem Platz statt. „Content“ steht im Mittelpunkt.
Mehr als Nachrichten
Auch die einfache Notiz gelangt mit dem neuen Betriebssystem wieder dort wo sie hingehört: in das Zentrum der eigenen Aktivität. Jede Information, egal ob ein Weblink, eine Nachricht oder das aktuelle Video – mit einem Wischer landet die Information im allgemeinen Notizspeicher. Sogar die Anbindung an Evernote kommt ab Werk mit. „Blackberry-Remember“ nennt sich das.
Die Tastatur – die Tastatur
Blackberry und Tastatur gehören einfach zusammen – auch wenn das Z10 auf die Hardware-Variante verzichtet. Dafür wird es (mit etwas Verspätung) das Modell Q10 geben. Damit sollten auch Traditionalisten und Vielschreiber auf ihre Rechnung kommen.
Aber selbst für Liebhaber des Touch-Keyboards haben sich die Blackberry-Entwickler einiges einfallen lassen. So werden noch während dem Erfassen von Nachrichten ganze Wörter über den „Tasten“ eingeblendet, die mit einem Wisch in den Text eingefügt werden können. Eine Automatik erkennt sogar die Sprache während der Eingabe (für jede Wortgruppe, nicht nur im gesamten Dokument!) und spart auf diese Weise Zeit und grammatische Fehler. Es sind oft die Kleinigkeiten, die unsere Nerven schonen und die Produktivität erhöhen. Bleibt die Frage, wie dies der (deutschsprachigen) Praxisprüfung standhält.
Apps – Viele? Welche!
Mit vielen „Schwachstellen“ haben Blackberry-Anwender zu leben gelernt. Die Optik? „Verbesserungswürdig“. Alles andere als „cool“, aber wir sind ja Business-User. Wo der Spaß aber im wahrsten Sinn des Wortes aufhört: bei Anwendungen und deren Bedienung. Dafür haben (oder hatten) wir jahrelang ein Business-Smartphone. Und genau in diesem Bereich versagte die „Blackberry AppWorld“ komplett. Von einigen Ausnahmen abgesehen waren die Apps der Dritthersteller von minderer Qualität. Und eine ganze Reihe nützlicher Software-Happen waren auf der Plattform schlichtweg nicht verfügbar.
Die Strategie der Software-Entwickler war und ist: erst für iOS und Android und dann – meist nichts. Einige wenige professionelle Dienste mussten die Business-Klientel befriedigen und brachten deren Anwendung auch auf die Blackberry-Plattform. Und manche von diesen machten dies gar nicht schlecht.
Apps: Quantität? Qualität? – Beides!
Die App-Stores von Apple und Google quellen über, wenn es um die Anzahl verfügbarer Anwendungen für die Smartphones ihrer Kunden geht. Fast 800.000 sind es an der Zahl für die Jünger von Steve Jobs.
Dagegen war die Blackberry-AppWorld eine Software-Wüste. Ist sie noch immer. Aber: in den letzten Wochen verstand es RIM, eine immense Anzahl (für deren Verhältnisse) an Entwickler zur Programmierung von Apps für Blackberry 10 zu gewinnen. Teilweise mussten dafür etliche Dollar in die Hand genommen werden. So wurden über ein Wochenende zusätzliche (!) 15.000 neue Apps eingestellt. Aktuell verfügt die AppWorld von Blackberry über rund 70.000 Softwareprodukte.
Die App-Wahl
Ob nun 1 Million oder 100.000 Anwendungen für das eigene Smartphone verfügbar sind, ist aber nicht das eigentliche Kriterium. Es kommt darauf an, dass „meine“ Apps verfügbar sind. Und qualitativ hochwertig! Im ersten Punkt ist der Anwender gefragt. Welche Apps sind wirklich ein „Must-Have“. Ist eine dieser Anwendungen nicht verfügbar, so ist gleichzeitig die jeweilige Plattform hinfällig. Egal, welche Kriterien sonst noch zur Wahl stünden.
Die „Killer“-Anwendungen
In der Praxis sind es – glauben Sie es oder nicht – nicht mehr als 10 Anwendungen, die diese „Killer“-Eigenschaft verdienen. Ohne diese 10 Apps kein Kauf!
Dann gibt es noch die „Nice-to-have“-Kategorie. Letztlich aber unwichtig. Viel wichtiger: Nur die Verfügbarkeit im AppStore ist nicht genug. Exakt die eine wichtige „Killer-App“ kann auf einer Android-Plattform ganz anders umgesetzt sein als auf iOS oder Blackberry (auch Windows Phone nicht vergessen). Zusammengefasst: Bilden Sie Ihre „Killer-Liste“ und prüfen Sie dann die praktische Umsetzung auf den jeweiligen Plattformen.
Die neue BB-AppWorld
Für seine Auferstehung hat RIM einiges getan. So der Willen der Content-Anbieter fehlte, wurde die eigene Entwicklungsabteilung aktiv. So geschehen im Fall der Facebook-Anwendung. Hier griffen die hauseigenen Developer in die Tasten, um eine Facebook-App für den Launch parat zu haben.
CEO Heins bemühte sich redlich zu betonen, dass alle „Major Player“ auf dem neuen Blackberry präsent sind. Stimmt leider nicht ganz. In einzelnen Blogbeiträgen ist auch zu lesen, dass es „gar nicht gehe“, dass doch diese eine Foto-App nicht verfügbar sei. Kiddies, im fortgeschrittenen Alter.
Und dennoch: Die Verkündigung, dass Skype, Kindle, Twitter und Facebook als App installierbar sind, ist nahezu schon ein Eingeständnis. Davon geht heute jedermann zu Recht aus. Ja, sogar ein SAP-Client ist verfügbar und für die fortgeschrittenen Business-Anwender auch noch „WebEx“. Wie gesagt: Erstellen Sie Ihre eigene Liste an benötigten Anwendungen und fällen Sie dann Ihr ganz persönliches Urteil.
Die „Business-Kriterien“
Anforderungen von Unternehmen sind nicht „cool“. Gleiches gilt für Smartphone-Anwendungen, die einem Ziel dienen: die persönlichen Aufgaben im beruflichen und privaten Umfeld erfolgreich abzuschließen. Genau hier liegt aber die Stärke des neuen BB 10!
„Balance“ – privat und beruflich getrennt
Ein einzigartiges Feature hat das neue Blackberry-OS. Auch nicht „cool“, aber immens wichtig im Unternehmenseinsatz: die Trennung privater und beruflicher Bereiche auf einem Smartphone. Sogar Anwendungen können einem der beiden Profile zugeordnet werden. Einfach genial!
Davon profitieren beide Seiten: Auf der einen Seite die Verwalter der Unternehmens-IT. Gut, dafür ist Blackberry bekannt. Die zentrale Steuerung und Verwaltung aller Smartphones in der Firma, inklusive ständiger Problembehebung und Neueinrichtung.
In der neuen Umgebung profitiert aber auch der Business-Anwender, der auch seine privaten Daten auf seinem Handy ablegen will. Auf diesen Bereich hat selbst der IT-Administrator des Unternehmens keinen Einfluss. Gut so!
Viele Welten – eine Umgebung
Die gute Nachricht für den (zukünftigen) Blackberry-Anwender: in der Praxis ist die Unterscheidung zwischen privaten und beruflichen Dokumenten und Nachrichten transparent. Das heißt: Obwohl diese Daten streng voneinander auf dem Smartphone gespeichert werden, bietet sich für den Nutzer eine Oberfläche. Technisch sind dafür sogar zwei unterschiedliche Partitionen auf dem Handy vorhanden. Fakt: „Privacy“ – sowohl für den geschäftlichen wie den privaten Bereich.
Kaufen?
Kurz formuliert: Einfach mal abwarten. Zum ersten bringt RIM (neuerdings ja – „Blackberry“) die Geräte erst im Lauf des Februar auf den Markt. In „UK“ ist das Z10 ab sofort verfügbar. Für die anderen Märkte wird es in einigen Wochen verfügbar sein. Für das Q10 (mit Hardware-Tastatur) gibt es noch gar keinen offiziellen Termin.
Das Fazit
An dieser Stelle wurden noch gar nicht die neuen „coolen“ Features von BB10 erwähnt. „Time-Shift“ bei Fotos, den Bild-Editor für Fotos oder den „Story-Maker“ für Videos und Bilder. Oder auch die Video-Verteilung über den aktualisierten Blackberry-Messenger. Ein „cooles“ Business-Feature: der neue BBM-Screen-Share. Auch für die private Nutzung bestens geeignet. Jederzeit den (Handy)-Bildschirm auf ein anderes Smartphone projizieren. Auch kein „Killer-Feature“, aber eines mit praktischem Nutzen.
Keine Frage: Blackberry hat mit dem neuen Betriebssystem das beste aus der aktuellen Situation gemacht. BB10 ist ein großer Wurf! Ob es allerdings ausreicht, um den Hersteller vor dem Aus zu bewahren, bleibt fraglich. „Business“ ist out. Leider.
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2 Antworten
[…] stellt die Möglichkeit zur individuellen Softwareinstallation dar. Auf diesem Gebiet spielt das neue Blackberry-Betriebssystem seine Stärke aus. Für alle anderen Plattformen führt auf diesem Gebiet kein Weg an einer […]
[…] Die letzten Monate brachten bezüglich der wichtigsten Mobilplattformen einige Fortschritte. Blackberry hat seinen Messenger auf andere Betriebssysteme portiert, was zumindest der nach wie vor großen Zahl an BB-Anwendern in Unternehmen eine Basis zur Verfügung stellt. Einen starken Neuzugang bot 2014 das schweizer Startup “Threema” – Top-Download im AppStore von Apple – und dessen gleichnamige Chat-App. Diese gibt es zum aktuellen Zeitpunkt für Android, iOS und Windows Phone. Stellt sich die Frage: Welche Plattformen müssen als Mindestkriterium erfüllt werden? Android und iOS sind gesetzt, sollte aber kein Problem sein, da Entwickler diese beiden Betriebssysteme immer zuerst bedienen. Schwieriger wird es bei den “Nachzüglern”. Windows Phone hat ein großes App-Problem, ist aber gerade im Unternehmensumfeld ein Pflichtkandidat, den es zu berücksichtigen gilt. Blackberry hat nach wie vor eine große Verbreitung im Businessbereich, steht ansonsten wohl aber vor dem Aus. […]